Need for Speed (PC-Version)
Electronic Arts
EA Black Box
Februar 2016
12 Stunden
Mit meinen 33 Jahren gehöre ich zu den Spielern, die sich bereits 1994 mit dem ersten Need for Speed beschäftigt haben. Seitdem sind 22 Jahre vergangen, in denen der Franchise auf über 20 Spiele (inklusive Mobile-Versionen) gewachsen ist.
Dabei wechselte vermutlich kein Gaming-Franchise häufiger den Kurs. Das Wort Wandlungsfähig beschreibt „Need for Speed“ daher perfekt. Höchstgeschwindigkeit, Verfolgungsjagden, Open World oder Tuning sind dabei nur wenige Schlüsselbegriffe für den Franchise. Nahezu jedes Spiel war anders, selbst wenn ausgewählte Elemente zurückkehrten.
Fragt man „Need for Speed“-Spieler nach ihrem Lieblingsspiel, werden die meisten vermutlich mit Underground 2 antworten. Need for Speed: Underground passte 2003 perfekt in die Zeit und schwamm auf der Tuningwelle. Doch Underground war nicht nur aufgrund der Bodenbeleuchtung so populär. Underground lebte von seiner Community. Nahezu jeder Spieler wollte sein Fahrzeug schöner und schneller machen. Die Ergebnisse dieser Tuning-Experimente wurden danach als Screenshot weltweit geteilt. Jedoch sorgte auch der Online-Modus für den Erfolg der Underground-Spiele. So wurde das Spiel in diversen eSport-Ligen aufgenommen und auf großen Turnieren gespielt. Giga widmete Underground sogar extra eSports-Sendungen im Free-TV.
Seit dem letzten Need for Speed: Underground sind jedoch über elf Jahre vergangen. Obwohl der „Need for Speed“-Franchise weiterhin existiert, ist der alte Fankult schon lange verschwunden. Als die Flamme im Jahr 2010 erneut mit “Most Wanted” entfachte, erlosch sie kurze Zeit später mit “Need for Speed: The Run” oder dem Online-MMO “Need for Speed: World” nahezu komplett. EA versuchte die Reihe immer wieder grundlegenden Updates zu unterziehen. Was beispielsweise mit „Need for Speed: Shift“ der Fall war. Die meisten dieser Experimente scheiterten. Glücklicherweise sind die düsteren Zeiten (zumindest vorerst) vorbei. Willkommen zu “Need for Speed”.
Das beste aus allen Welten
Beginnen wir dem Schocker direkt zum Start. “Need for Speed” ist kein reiner „Need for Speed: Underground“ Klon. Stattdessen entwickelte EA Black Box ein Spiel, mit den besten Need for Speed Elementen. So leiht man sich die Tuning-Komponente aus Underground, implementiert die Zwischensequenzen aus Most Wanted und rundet mit Autolog/Cops aus Hot Pursuit ab. EA Black Box könnte man dahingehend als Dr. Frankenstein der Racing-Szene betiteln. Das erstaunliche ist jedoch die Tatsache, dass alle Elemente perfekt zusammen passen und „Need for Speed“ auf fast kompletter Linie überzeugt.
Das war jedoch mit der Veröffentlichung der Konsolen-Version nicht der Fall. PC-Spieler mussten zwar etwas länger warten, erhalten dafür nun ein deutlich besseres Spiel. Das betrifft nicht nur die Technik. Doch dazu später mehr.
Willkommen in Need for Speed
Wie Eingangs schon erwähnt orientiert sich der Story-Modus von Need for Speed stark an Most Wanted. Somit schlüpft man in die Rolle eines Rookies, der frisch in der Underground-Szene startet. Dabei lernt man Großmaul Spike kennen, der den Spieler seiner Racing-Crew bestehend aus Amy, Travis, Manu und Robyn vorstellt. Nach und nach mausert man sich zum Ass der Truppe und folgt den Entwicklungen in zahlreichen Zwischensequenzen.
Dabei ist jede Zwischensequenz mit echten Darstellern gedreht worden, während der Spieler maximal die eigene Bro-Fist sieht. Das Konzept soll dafür sorgen, dass ein Mittendrin Gefühl entsteht. Das würde auch gelingen, wenn die Story nicht ein Klischeefest der Extraklasse wäre. Gelegentlich hatte ich das Gefühl, dass ein 50-jähriger Schreiber Jugendsprache emuliert. Hat man sich damit erst einmal arrangiert, kann man die Geschichte jedoch genießen. Natürlich gibt es unzählige Momente zum Fremdschämen, doch es passt in das Konzept. Ich schäme mich dahingehend nicht zuzugeben, dass mich die Geschichte unterhalten hat.

Need for Speed: The Bro Fist Adventures!
Die einzelnen Crew-Mitglieder dienen jedoch nicht nur der Geschichte. So erfüllt jedes Mitglied seinen eigenen Zweck und bietet dem Spieler andere Rennen an. Trifft man sich beispielsweise mit Spike werden Geschwindigkeitsrennen gefahren. Dabei rast man in der Regel von Punkt A nach B. Trifft man sich mit Robyn, steht normalerweise das driften im Vordergrund. Need for Speed gelingt der perfekte Spagat, um jeden Spieler zufrieden zu stellen. Egal welche Art der Rennen man bevorzugt.
Die einzelnen Rennen bieten dann glücklicherweise viel Abwechslung. Das zeigt sich alleine bei den Driftrennen. Zwar geht es immer um die perfekte Kurvenlage, doch gleichzeitig auch um das Miteinander. So gibt es Events in denen Fahrzeuge im Pult driften müssen. Entfernt man sich von der Gruppe, sinkt die Anzahl der erhaltenen Drift-Punkte. Solche Variationen bei Spiel-Modi halten das Spiel frisch. Sogar Ken Block wurde mit seinem populären Gymkhana-Event gewonnen. Gymkhana ist dabei der perfekte Mittelweg zwischen Geschwindigkeit und Style. So rast man eine lange Gerade entlang, an deren Ende man den Wagen dreimal um eine Laterne driften lässt.
Letztendlich bringt einem jedes Rennen Ruf. Je mehr Ruf man besitzt, umso mehr Rennen lassen sich freischalten. Gleichzeitig sind Tuning-Möglichkeiten an den Ruf gebunden. Möchte man also ein gewisses Upgrade anbringen, müssen dafür erst einmal Ruf-Stufen gefarmt werden.
Dummerweise hat diese Freiheit bei den Rennen jedoch auch seine Nachteile. So verfolgt die Hauptgeschichte ein festes Ziel. Je nachdem welche Rennen man zuerst fährt, machen einige Zwischensequenzen keinen Sinn mehr. Das ist tatsächlich etwas bedauerlich. Hier hätte es vermutlich nicht geschadet, wenn es einen Hauptstory-Pfad anstelle von fünf Hauptgeschichten gegeben hätte.
Basteln und schrauben
Glücklicherweise dreht “Need for Speed” bei den Tuning-Möglichkeiten richtig auf. So gibt es über 50 Fahrzeuge im Grundspiel, deren Anzahl durch kostenlose Updates sogar noch hochgeschraubt wurde. Jedes Fahrzeug lässt sich dabei individuell anpassen. Dabei trennt sich das Tuning in 3 Bereiche: Optisches Tuning, Leistungstuning, Feinabstimmung.

Tuning Möglichkeiten überzeugen
Beim optischen Tuning dürfen (je nach Ranglevel) neue Motorhauben, Spoiler oder auch Lichter verbaut werden. Zwar müssen Spieler auf die beliebten Unterbodenlichter verzichten, jedoch entsteht dadurch kein Kolbenfresser. Stattdessen malte ich mir ein Szenario vor Augen, wo in Ventura Bay diese Art der Beleuchtung verboten sei. Ist ja auf deutschen Straßen nicht anders. Leider sind der Optik jedoch auch Limits gesetzt. So lassen sich nicht bei jedem Auto beliebige Teile anbringen. Den Grund dafür wird man vermutlich bei den Fahrzeugherstellern suchen müssen. Frustrierend bleibt es trotzdem. Zumal man vor dem Kauf eines Wagens nicht die anpassbaren Elemente einsehen kann. So investierte ich 100.000 Credits und konnte Optisch nur die Lichter anpassen. Sowas ist frustrierend. Letztendlich entsteht bei Fahrzeugen trotzdem ein sehr individueller Touch. Selbst wenn man nur 2-3 Teile austauschen kann.
Dafür sorgt unter anderem der Decal-Editor. So dürfen Formen und Farben mit einem handlichen Editor platziert werden. Mittlerweile hat EA sogar die Möglichkeit per Update nachgeliefert, dass Decals zwischen Spielern getauscht werden können. Das fehlte zum Start der Konsolenversion.
Neben dem optischen Tuning gibt es zudem das Leistungstuning. Dabei darf man unter der Haube jedes Wagens schrauben. Von anderen Federn bis hin zu besseren Motor. Es gibt kaum Grenzen. Neue Parts schalten sich jedoch auch hier per Rufstufe frei. Das Leistungstuning spielt dabei auch unmittelbar in die Feinabstimmung rein. So gibt es einzelne Fahrzeugteile, die auf bestimmte Spielweisen ausgelegt sind. Möchte man beispielsweise Drift-König werden, sollten Fahrzeugteile auch darauf abgestimmt sein. Die Tuning-Möglichkeiten sind der Wahnsinn und deutlich tiefer als Eingangs erwartet. Dabei sollte man nie vergessen, dass Need for Speed eine Arcade-Reihe ist. Soviele Optionen hätte ich bei keinem Arcade-Racer erwartet.
Alles schöner auf dem PC
Selbst wenn PC-Spieler einige zusätzliche Monate auf Need for Speed warten mussten, erhalten diese nun die ultimative Version. So erhielt das Spiel im Verlauf der letzten Monate die sogenannten “Living Updates”. In diesen kostenfreien Updates widmete sich EA dem Feedback der Community. Beispielsweise wurde die starke Gummiband-KI verbessert, neue Fahrzeuge integriert oder ein Foto-Modus eingeführt. Diese kostenlosen Updates machen das Spiel wirklich besser und bleiben auch in Zukunft kostenlos.
Während die Konsolen-Version mit heftigen Slowdowns zu kämpfen hatte, kann die PC-Version auf ganzer Linie überzeugen. So lief das Spiel auf meinem Testsystem (i5, GTX 970, 16GB Ram) durchgehend mit mindestens 60 Frames-per-Second und sah dabei eindrucksvoll aus. Obwohl alle Settings hochgestellt waren. Der PC-Port kann dahingehend als voller Erfolg bezeichnet werden.
Der Mängelkatalog
Doch trotz der zahlreichen Möglichkeiten und dem technisch sauberen Port, ist leider nicht alles Gold was glänzt. So besitzt Need for Speed einen Onlinezwang, der eure Version von Ventura Bay mit anderen Spielern bevölkert. Trefft ihr diese Spieler zufällig auf der Straße, könnt ihr spontan ein paar Rennen fahren. Soweit so gut, oder? Leider nein. Denn obwohl sich das Spiel in einen Offline-Modus versetzen lässt, kann man “Need for Speed” nicht pausieren. Das wäre verständlich wenn man Online gegen andere Spieler fährt. Warum ich aber ein reines KI-Rennen nicht pausieren kann, macht für mich nur wenig Sinn. Klingelt es an der Tür, habe ich folglich zwei Möglichkeiten: weiterspielen oder das Rennen aufgeben. Befindet man sich in einem knappen Rennen, kann ohne Frage Frust entstehen.

Community Decals bringen Pepp ins Spiel
Gleichzeitig ist die verbesserte KI immer noch ein großes Ärgernis. Zwar hat der Gummiband-Effekt nachgelassen, doch benehmen sich die KI-Kollegen in Team-Events wie Rüpel. Das in regulären Rennen gedrängelt wird, macht für mich sogar Sinn. Wenn aber bei einem Drift-Event alle gemeinsam fahren sollen, verstehe ich Drängeln und Schubsen kaum. Das sorgt gleichzeitig auch dafür, dass eine gute Grundidee zerstört wird. Meiner Meinung nach fing bis dato kein Spiel das Driftgefühl so gut ein. Dummerweise wird viel davon durch die KI ruiniert.
Wie ich Eingangs bereits erwähnte, war die Underground-Reihe tief mit der eSports-Community verwurzelt. Leider wird Need for Speed kaum auf diesen Zug aufspringen können und dabei entsteht ein wirkliches Ärgernis. So besitzt das Spiel keine Online-Lobbys. Zwar kann man gleichgesinnte Spieler (dank Patch) mit dem Konkurrenzmodus finden, jedoch ersetzt sowas kein Lobby-System. Dadurch disqualifiziert sich Need for Speed an Ort und Stelle für echte eSports-Veranstaltungen. Echte Gründe dafür lieferte Black Box nie. Aus persönlicher Sicht halte ich es jedoch für den größten Kritikpunkt an Need for Speed.
Fazit
Trotz der zuletzt genannten Kritikpunkte, habe ich mich (mit Abstrichen) in das neue Need for Speed verliebt. Ja, die Story ist verdammt stark auf Klischees ausgelegt. Ständig fliegen Bro-Fists und „Yo, Bruder“ Sprüche umher. Akzeptiert man diese Art des Storytellings, kann man trotzdem seinen Spaß haben. Ich hatte die Konsolen-Version beendet und beendete auch die PC-Version. Selbst wenn ich mir dabei eine „Überspringen“-Option bei Zwischensequenzen gewünscht hätte. Die meisten Spieler werden darin jedoch kein Problem sehen, da sie das Game nur auf einer Plattform zocken.
Die genannten Kritikpunkte fallen teilweise schwer ins Gewicht. Gerade die fehlenden Lobbys. Trotzdem zog es meinen Gesamteindruck nicht zu weit runter. Ich habe Need for Speed als das genommen, was das Spiel sein möchte. Eine Hommage an die populärsten Need for Speed Teile: Most Wanted, Hot Pursuit und Underground. Dieses Experiment ist im großen und ganzen gelungen.
Das man dabei direkt einen astreinen PC-Port präsentiert bekommt, ist leider auch nicht die Regel. Hier hat EA jedoch ganze Arbeit geleistet. Das Spiel sieht toll aus, ist super flüssig und profitiert durch die „Living Updates“. Hut ab, gerne mehr davon!
Story mit echten Darstellern
Driftgefühl und Events
Viel Abwechslung in Events
Tuning Möglichkeiten
Gratis Living Updates
KI in Team-Events zu aggressiv
Endgame Grind für Ruf
Keine Pause trotz Offline-Modus
Nur Nachtmodus